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Momo und Kopfmaus

September 14th, 2011

Ein Erfahrungsbericht von Anama Fronhoff

Anama mit MonitorbrilleBis zu meinem Hirnstamminfarkt mit nachfolgendem Locked-in-Syndrom war ich ein sehr kommunikativer Mensch, sowohl verbal als auch körpersprachlich.

Nach dem Ereignis konnte ich mich über ein Jahr lang ausschließlich per Augenkommunikation deutlich machen. Zum Beispiel habe ich bei Ja die Augen geöffnet, ebenso bei dem Buchstaben im Alphabet, den mein Gegenüber angesagt hat. Natürlich hat das beiden Seiten sehr viel Geduld abverlangt.

Im Laufe der Jahre habe ich gelernt, das meiste mit mir selber abzumachen. Das heißt, dass ich mich nicht mehr so viel mitteilen möchte.

Trotzdem hat sich meine Kommunikation deutlich entwickelt. Durch viel Logopädie über all die Jahre kann ich mittlerweile wieder leise sprechen, je nach Tagesform lauter oder leiser. Dazu beigetragen hat sicherlich mein Behindertenbegleithund Momo, der ausschließlich auf mich hört und nicht, wie man denken könnte, auf eine laute Stimme. Das freut mich ungemein und hat auch für mich den positiven Effekt, dass ich an jedem Tag sprechen muss, ob ich will oder nicht. Viele Leute sind sehr überrascht, einen Hund zu sehen, der auf meine Stimme reagiert. Zudem ist Momo eine Art Brückenbauer, denn durch ihn kommen immer wieder Menschen in Kontakt zu mir, die sich ohne ihn entweder nicht getraut oder einfach keine Möglichkeit für ein Gespräch gesehen hätten. Aber es gibt weiterhin einige, die denken, wegen meiner leisen Stimme könnte ich auch schlecht hören und verstehen.

Ich lebe alleine mit einer 24-Stunden-Assistenz. Die Fluktuation ist relativ hoch und so habe ich fast jeden Monat einen neuen Assistenten in meinem kleinen Betrieb. Auch hierbei ist meine Stimme gefordert, weil ich dem neuen Assistenten trotz guter Einarbeitung in den ersten Diensten alles noch einmal haarklein erklären muss.

Ein weiteres Standbein in meiner Kommunikation ist der Computer. Dort kann ich alleine mit Kopfmaus und Bildschirmtastatur schreiben. So ist es mir möglich, einen privaten Kontakt zu meinen Freunden zu haben. Am Telefon spreche ich nicht laut genug und zudem wäre es auch nicht privat, da immer ein Assistent bei mir ist.

Mein Körper ist nach wie vor gelähmt, nicht aber meine Gesichtsmuskulatur. Im Gegenteil, meine Mimik ist sehr ausgeprägt. Von je her konnte ich meine Gefühle nicht verheimlichen, man kann mir alles im Gesicht ansehen.

Es hat sich also eine Menge getan in den vergangenen Jahren. Ich bin sehr froh über die langjährige Therapie, die Hilfsmittel am Computer und natürlich über die Kommunikation mit meinem „Hilfsmittel“ Behindertenbegleithund.

Artikel in der Apotheken Umschau

September 7th, 2011

In der Apotheken Umschau ist dieser Artikel über mich erschienen:

Der Weg nach draußen

Locked-in-Syndrom. Die Patienten sind am ganzen Körper gelähmt. Dennoch empfinden viele ihr Leben als positiv.

Da ist immer wieder dieses Lachen. Es deutet sich an, wenn sich die Mundwinkel von Anama Kristin Fronhoff verziehen, begleitet von eine Kichern, das in einem leisen Glucksen endet. Außenstehende fragen sich, woher dieses Lachen kommt angesichts des Schicksalsschlags, den Anama Fronhoff im Jahr 2000 erlitt.

Damals war sie 33 Jahre alt. Mittags hatte ihr Freund die Beziehung beendet, sie weinte den ganzen Tag und brach abends bei einer Meditationsübung zusammen. In ihrem Gehirn hatte sich eine Thrombose gebildet, ein Schlaganfall im Hirnstamm war die Folge. Dieser Bereich des Gehirns bildet die Schnittstelle zwischen den anderen Hirnregionen und dem Rückenmark. Sendet das Gehirn Impulse über die Nervenbahnen an die entsprechenden Zielorgane des Körpers laufen diese Befehle über den Hirnstamm. Lebenswichtige Funktionen wie Herzfrequenz, die Atmung und der Schluckreflex werden von dort aus gesteuert. „Bertrifft ein Infarkt den Hirnstamm, ist das Bewegungszentrum auf einen Schlag lahmgelegt“, sagt Dr. Andrea von Helden, Chefärztin am Zentrum für Schwerst-Schädel-Hirnverletzungen im Vivantes Klinikum Spandau in Berlin.

Gelähmt bei vollem Bewusstsein

Anama Fronhoff konnte weder die Arme noch die Beine noch den Kopf bewegen. Die gesamte Muskulatur ihres Körpers war gelähmt. Sie musste beatmet und künstlich ernährt werden. Ihr Körper wirkte wie in einem Wachkoma. Zugleich war sie aber bei vollem Bewusstsein. Sie spürte jede Berührung der Ärzte und Pfleger, verstand und sah alles, was in ihrem Krankenzimmer passierte. Nur mitteilen konnte sie sich nicht. Sie empfand sich als unbeteiligte Zuschauerin.

Einzig die Augen vermochte sie noch von oben nach unten zu bewegen und mit den Lidern zu schlagen. Diese Bewegung steuert das Mittelhirn. Um mit Fronhoff zu kommunizieren, bewegte der Pfleger einen Finger über einer Tafel mit dem Abc. Kam er an dem richtigen Buchstaben an, blinzelte sie.

Ärzte nennen den Zustand der kompletten Lähmung bei vollem Bewusstsein „locked-in“, eingesperrt. „Ich stecke in einem inneren Gefängnis, der Körper ist die Mauer“, erklärt Fronhoff. Dass sie wieder sprechen kann, ganz leise und mit viel Anstrengung, erscheint wie ein kleines Wunder und ist Ergebnis jahrelanger, harter Arbeit.

Schlucken lernen dauert Monate

„Das Gehirn muss sich andere Bereiche suchen, um die Aufgaben zu erfüllen. Das ist ein langwieriger und mühsamer Lernprozess“, sagt von Helden. Die Behandlung schließt Krankengymnastik, Ergotherapie und Logopädie mit ein. Über Monate lernte Fronhoff wieder zu schlucken – ein komplexer Vorgang, an dem rund 50 Muskeln beteiligt sind. Die kleinen Verbesserungen nehmen Monate in Anspruch. „Wichtig ist vor allem, dass das Locked-in-Syndrom schnell und richtig diagnostiziert wird“, sagt von Helden. „Je früher und nachhaltiger mit der Rehabilitation begonnen wird, desto besser die Aussichten.“

Heute lebt Fronhoff in einer Dreizimmerwohnung in Köln. Sie ist rund um die Uhr auf die Hilfe anderer angewiesen: wenn sie aufstehen möchte, wenn sie Hunger hat oder wenn ihre Nase juckt. Zehn Krankenassistenten wechseln sich mit der Betreuung ab.

Anama Fronhoffs Fenster zur Außenwelt ist ein spiegelnder Punkt zwischen den Brillengläsern. Eine kleine Kamera über dem Computermonitor registriert per Infrarot jede Regung des Punkts. So kann sie den Computer mithilfe der Bewegung des Kopfes wie mit einer normalen Maus bedienen. Sie surft im Internet und schreibt ihren Bekannten E-Mails.

Aber warum bezeichnet sich Anama Fronhoff als glücklichen Menschen? Dass eine so schwere Erkrankung nicht den Lebensmut nehmen muss, bestätigt eine Studie von Forschern der belgischen Universität Lüttich. 65 Menschen mit Locked-in-Syndrom füllten einen Fragebogen aus. Fast drei Viertel bezeichneten sich als glücklich. Nur sieben Prozent gaben an, lieber tot sein zu wollen. Ähnliche Ergebnisse erhielt auch Dr. Karl-Heinz Pantke bei einer Befragung.

„ Wichtigste Voraussetzung ist, dass die Patienten gut versorgt werden und kommunizieren können, dass sie also sozial eingebunden sind“, sagt Professor Christoph Student, Facharzt für Psychiatrie und Palliativmedizin. Er stellt eine Verbindung zum Thema Patientenverfügung her. Viele Locked-in-Patienten würden heute vermutlich nicht mehr leben, wenn sie vor ihrer Erkrankung über ihre Zukunft hätten entscheiden müssen. „Leben und Sterben sind dynamische Prozesse, denen ein statistisches Instrument wie die Patientenverfügung nicht gerecht werden kann“, betont Student. „Kein Gesunder kann wissen, wie er als Kranker entscheiden würde.“

Der australische Psychologe Robert Cummins spricht von einer „Homöostase“, bei der Menschen lernen, ihre subjektiven Bedürfnisse an ihre Ressourcen anzupassen, auch wenn diese stark eingeschränkt sind. Manchmal gelingt dies so gut, dass Schwerstbehinderte ihre Lebensqualität höher einschätzen als Nichtbehinderte die ihre.

In den ersten Monaten versinken die meisten Locked-in-Patienten in einer tiefen Depression. Danach entkommen sie diesem Zustand meist wieder, indem sie sich mit der neuen Situation arrangieren. „In den ersten beiden Jahren wollte ich nur sterben“, sagt Anama Fronhoff. Doch sie habe nicht einmal gewusst, wie das gehen sollte. Dann begann ihr zweites Leben: „Der Rollstuhl fesselt nicht nur meinen Körper, sondern auch meine Seele an die Erde. Ich habe eine innere Ruhe gefunden, der ich früher immer nachgejagt bin.“

Text: Stefan Schweiger, erschienen in der Apotheken-Umschau

Fotos: Reiner Unkel