Express (2008)

August 11th, 2000

„Ich lache mehr als früher“

Von SIEGLINDE NEUMANN

Köln – Es ist ein herrlicher Sommertag, sonnig und warm. 11. August 2000. Ein Freund fotografiert Anama, aus purem Spaß. Wie sie lässig auf ihrer Matratze liegt und liest. Wie sie versucht, möglichst lange auf einem Bein zu stehen. Sie ist albern, vergnügt. Die Schnappschüsse sind die letzten Szenen ihres alten Lebens. Mittags macht ihr Lebensgefährte Schluss, Anama weint sich die Augen aus. Abends bricht sie im Kölner Osho-Zentrum zusammen. Hirnstamm-Infarkt. Eine besonders schwere Form des Schlaganfalls.

Der vollständige Filmriss von Jetzt auf Gleich: Die quirlige Krankenschwester wird Gefangene ihres eigenen Körpers. Locked-in-Syndrom. Alle motorischen Nerven sind durchtrennt. Ihre Gliedmaßen sind kraftlos, sie ist von Kopf bis Fuß gelähmt. Sie kann nur noch mit den Augen blinzeln, keinen Finger rühren, kein Wort sprechen. Die Stimmbänder sind gelähmt, ebenso Zunge, Gaumen, Mund. „Die Notärzte dachten, ich hätte Drogen genommen“, erzählt sie, „man ließ mich ein paar Tage in der Klinik liegen, bis die einschlägigen Tests zeigten, ich war drogenfrei.“ Ein Kernspin offenbarte die katastrophale Wahrheit. Anama wird in ein künstliches Koma versetzt. Sie träumt sich körperlos, liegt ein Jahr in der Klinik. Etwas essen, den Kopf alleine halten, aufrecht sitzen – anschließend erarbeitete riesen Erfolge, über die sie kein Wort verliert.
Heute tippt sie mit einer kopfgesteuerten Computermaus Texte und E-mails. Kann mit unsäglicher Anstrengung hingehauchte Unterhaltungen führen. „Schreiben Sie bloß nicht, ich wäre eine Kämpferin“, flüstert sie. „Ich bin ein zäher Knochen.“ Heute, knapp acht Jahre nach dem Zusammenbruch, versprüht Anama noch mehr Charme als auf den hübschen alten Fotos. „Ich lache mehr als früher“, sagt sie und strahlt. Dabei hätte sie Grund, von früh bis spät zu jammern.
Sie kann keine vors Auge gewehte Haarsträhne wegstreichen, keine lästige Fliege verscheuchen, obwohl sie ihr Kribbeln deutlich spürt. Sie kann keine vors Auge gewehte Haarsträhne wegstreichen, keine lästige Fliege verscheuchen, obwohl sie ihr kribbekn deutlich spürt. Sie kann sich nicht selber die Nase putzen, keinen Löffel zum Mund führen. Arme, Finger, Beine streiken. Aus dem Rollstuhl erheben? Sich selber hinsetzen? Geht nicht.  „Wenn es mich juckt, muss mich jemand kratzen.“ Selbst in der Nacht braucht Anama einen Pflegeassistenten vom Roten Kreuz. Ich kann ja schlecht den Notdienst rufen, nur weil mir die Decke runterrutscht!“
Eine große Portion Heiterkeit zauberte Langhaarcollie Momo (3) vorletztes Jahr in ihr Leben. „Ich bin viel mehr draußen, bei jedem Wetter, jeden Tag und kaum noch krank“, schwärmt sie über ihren treuen Gefährten.
Der schlaue Behindertenhund, über Spenden finanziert, ist auf wenige kurze Kommandos abgerichtet, die Anama gut artikulieren kann. Schnalzen heißt „Setz`dich“. Hört Momo ihr „Amen“, darf er sich ein Leckerchen vom Rollstuhltablett schnappen, wo sich pünktlich wie ein Uhrwerk abends gegen 22 Uhr Kater Jonathan zum Streicheln unter Frauchens kraftlose Finger schmiegt und schnurrt.
Früher war Anama Krankenschwester auf der Intensivstation in Köln-Merheim. Sie arbeitete auf der Schwelle zwischen Leben und Tod. Aus dieser Grauzone hat sie sich mit viel Energie und Hartnäckigkeit wieder in die Mitte des Lebens bewegt. „Es ging in diesem Beruf immer wieder darum, ob sich das Leben noch lohnt. Ich bin heute überzeugter denn je, dass das Leben selber entscheidet, wer leben soll oder nicht. Jedes Leben ist lebenswert. Jeder Körper, ob klein, groß, dick, dünn, unbeweglich oder sonst was, ist schön.“

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