Direkt nach dem Hirnstamminfarkt

November 13th, 2017

Als Tochter einer Gastronomenfamilie bin ich in der Krankenpflege gluecklich geworden. Gerade auf Intensivstation habe ich es geliebt, so nah mit verschiedenen Menschen in Kontakt zu kommen. Damals war ich also eine Pflegende, die es sich ueberhaupt nicht vorstellen konnte, einmal die Seite zu wechseln. Die Vorstellung, ein Pflegefall zu sein, erschien mir nicht lebenswert.

Im Jahre 2000 aenderte sich nach einem Hirnstamminfarkt mit nachfolgendem Locked in Syndrom mein Leben komplett von einem Moment zum Anderen. Auf Einmal war ich eine zu Pflegende. An die Intensivzeit habe ich nur noch schemenhafte Erinnerungen. Ich hatte verschiedene Traeume. Unter Anderem, dass ich eine afrikanische Familie mit kleinem Kind getoetet, zerstueckelt und in grosse Muelltueten getan haette. Warum? Keine Ahnung. Weiterhin habe ich manchmal mitbekommen, wie mich das Personal vom Beatmungsgeraet abtrainieren wollte. In den Momenten habe ich mich gefragt, warum sie nicht eine andere Einstellung beim Geraet waehlen. Mir war nicht klar, dass ich an der Maschine hing.

Zeitweise ging es mir sehr schlecht. Unter Anderem waren bereits die Nieren ausgefallen. Die Aerzte teilten meinen Angehoerigen mit, dass ich den Infarkt sehr wahrscheinlich nicht ueberleben wuerde. Einmal stand ich, zumindest in meinem Empfinden, an einer Art Tor zu einer anderen Welt. Dort habe ich Verstorbene und meinen spirituellen Lehrmeister getroffen, der mir nonverbal mitgeteilt hat, dass noch nicht die Zeit gekommen waere. Richtiggehend unwillig bin ich in den kranken Koerper zurueck.

Dieses Erlebnis laesst sich nicht verifizieren. Das ist mir aber auch egal, ich muss das niemandem beweisen. Fuer mich ist es extrem wertvoll und hat mein ganzes Leben veraendert. Das Leben auf der Erde erscheint mir jetzt sehr kurz im Vergleich zur Ewigkeit.

In den ersten Jahren nach dem Hirnstamminfarkt bin ich durch meine persoenliche Hoelle gegangen. Sehr gerne haette ich mich selbst getoetet, aber mit der Unbeweglichkeit des Locked in Syndroms war mir das leider nicht moeglich. Irgendwann hat sich durch meinen vaeterlichen Freund der Blickwinkel auf mein Leben veraendert. Durch ihn habe ich gelernt zu sehen, was das Leben ausmacht und nicht, was koerperlich nicht mehr geht. Das hat viel mit Intuition und anderen Wesenszügen zu tun. Auch wenn es sich befremdlich anhören mag, bin ich meinem Lebensziel von innerer Freiheit näher denn je.

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