Quarks und Co (2007)

Februar 26th, 2008

Zurück ins Leben
Der lange Weg aus dem Koma

Autor: Christina Krätzig
Man hatte sie schon aufgegeben: Als Anama Fronhoff nach einer speziellen Form des Schlaganfalls, einem Stammhirninfarkt, ins Krankenhaus kam, waren die Ärzte sicher, dass die junge Frau nicht überleben konnte. Die Angehörigen hofften, dass Anama wenigstens noch einige Tage leben würde, damit sich alle Freunde verabschieden könnten. Doch alles kam anders. Die 33-jährige überlebte und erwachte nach mehreren Monaten aus dem Koma.

Verständigung nur noch per Lidschlag
Nach diesen Monaten des Dämmerns war sie zwar wieder bei vollem Bewusstsein, aber dabei vollständig gelähmt. Sie konnte weder sprechen noch den Arm heben oder die Finger bewegen. Nur mit den Augen konnte sie Zeichen geben, wenn sie eine Frage verstanden hatte – sie blinzelte einmal für „ja“ und zweimal für „nein“. Wenn sie sich ausführlicher äußern wollte, musste ihr Gegenüber das Alphabet aufsagen und sie blinzelte bei dem entsprechenden Buchstaben. Sehr mühsam konnte sie sich so mitteilen.


Es kann jeden treffen – in jedem Alter

„Locked-In-Syndrom“ nennen Ärzte diese besondere Art des Komas: Die Patienten sind vollkommen bei Bewusstsein. Doch sie sind am ganzen Körper gelähmt, häufig können sie nicht einmal selbst atmen oder schlucken. Anama Fronhoff hat vor ihrem Infarkt selbst als Krankenschwester auf neurologischen Stationen gearbeitet und sich mit der Frage beschäftigt, wie lange man schwer verletzte Patienten künstlich am Leben erhalten sollte, wann man sie sterben lassen sollte. Dass sich ihr diese Frage einmal selbst stellen würde, hätte sie mit Anfang Dreißig nie gedacht – sie war sportlich, sehr aktiver und risikofreudig. Sie liebte Tiere, ritt und fuhr gerne Motorrad.

Der Körper als Gefängnis

Der Infarkt kam mitten in einer Meditationsübung. Anama fiel einfach um, weil ein Blutgerinnsel in ihrem Gehirn ein Gefäß verstopfte. Seitdem sendete ihr Stammhirn, das für Bewegungen zuständig ist, zwar noch motorische Impulse aus. Aber die gelangten nicht mehr in den Körper. Nur das Sehen, das Hören und der Tastsinn funktionierten bei Anama noch normal. Ein ganzes Jahr lang: „Die gesamte Muskulatur war gelähmt, auch die der Lunge. Deswegen musste ich künstlich beatmet werden. Eine Artikulation war nicht möglich. Das Locked-In-Syndrom ist wie ein inneres Gefängnis, der Körper die Mauer.“


Leben mit dem Locked–in–Syndrom

Im Jahr 2007, sieben Jahre nach dem Schlaganfall, lebt Anama mit ihrem Hund Momo und zwei Katzen in einer Dreizimmerwohnung am Stadtrand von Köln. Sie kann wieder leise sprechen, den Kopf selbständig halten und mit einer so genannten Kopfmaus allein am Computer Briefe und Texte schreiben. Sie hat ihre Geschichte, ihre Erinnerungen aufgeschrieben. Noch immer kann Anama weder gehen noch sich alleine aufrichten. Ein Team von zehn Assistenten betreut sie rund um die Uhr, zweimal in der Woche hat sie Sprachtraining und zweimal Ergotherapie. „Mein Hirn muss sich jetzt andere Bereiche suchen, um bestimmte Aufgaben erfüllen zu können. Das ist ein langwieriger Lernprozess. Doch selbst mit einem Locked-In-Syndrom kann man leben.“ Schon jetzt hat Anama mehr erreicht, als Ärzte jemals geglaubt hatte – medizinisch gesehen ist sie ein Wunder. Ob sie weitere Fähigkeiten zurück gewinnen wird, kann niemand vorher sagen.

„Es ist einfach so“
Ihr treuester Gefährte ist ihr heiß geliebter Behindertenhund Momo. Und im Großen und Ganzen beurteilt Anama ihr neues Leben wieder positiv: „Natürlich spüre ich Schmerz um das Vergangene. Aber durch diesen Schmerz bin ich auch gewachsen. Ich habe erfahren, dass mir nur die Akzeptanz meines Zustandes helfen kann. Und am eigenen Leib erfahren, wie sich das Leben von einem Moment auf den anderen total verändern kann. Mir erscheint es so, dass nichts im Leben sicher ist. Ich kann nur in diesem Augenblick leben – denn im nächsten Moment kann schon eine völlig andere Lebenssituation eintreten. Heute frage ich mich immer weniger, ob mein Leben lebenswert ist. Es ist einfach nicht meine Entscheidung, über Leben und Tod zu urteilen. Und schon gar nicht über den Zeitpunkt. Ich lebe im Moment, und das ist weder gut noch schlecht. Es ist einfach so.“

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