Bild der Frau (2004)

Februar 26th, 2004

„Ich war gefangen im eigenen Körper!“

Anama (39) litt unter dem seltenen „Locked-in-Syndrom“

Es war ein Tag wie jeder andere: aufstehen, frühstücken, arbeiten. Kopfschmerzen sind die einzigen Vorboten der Katastrophe. An jenem Nachmittag im August vor sechs Jahren geht Anama Kristin Frohnhoff (heute 39) zur Meditationsstunde. Mitten im Unterricht bricht die Kölnerin zusammen.

Dem Notarzt sagt die gelernte Intensiv Krankenschwester Anama noch: „Nicht intubieren, bitte!“ Ihre allerletzte Erinnerung für viele Monate… „Stammhirninfarkt‘; diagnostizieren die Ärzte im Krankenhaus später. Stammhirninfarkt, das ist wie ein sehr schwerer Schlaganfall, nur nicht einseitig, sondern in der Mitte des Gehirns. Folge: Beide Körperhälften sind gelähmt.  Anama liegt Monate im Koma. Sie wird künstlich beatmet und ernährt. Erst nach knapp einem Jahr, an ihrem 34. Geburtstag schafft ihr Bewusstsein wieder den Sprung in die Realität. „Um mich herum standen Therapeuten mit Luftballons und sangen ,Happy Birthday‘. Ich wusste: Ich lebe.“ Anama erwacht aus dem Koma aber nicht richtig. Sie hat das sogenannte Locked-In-Syndrom (LIS, locked in = eingesperrt sein). Ist eine Gefangene ihres gelähmten Körpers bei vollem Bewusstsein. LIS endet oft tödlich. Die Patienten können nur die Augenlider bewegen. Anama: „Es war wie ein Albtraum, aus dem es kein Erwachen gibt.“ „Ich konnte denken und sonst nichts“ Koma oder LIS? Das ist selbst für Ärzte oft schwer zu unterscheiden. Mit dramatischen Folgen. Die Patienten wollen sagen: „Ich lebe, ich kriege alles mit!“ und können es nicht. Anama: „Nur mein bester Freund und früherer Lebensgefährte, Wolfgang, hat gemerkt, dass in meinem bewegungslosen Körper ein wacher Verstand steckt.“ Ein verzweifelter Verstand. „Ich konnte denken und sonst nichts“, erzählt Anama. „Nicht atmen, nicht schlucken, nicht sprechen. LIS ist wie ein inneres Gefängnis, der Körper die Mauer.“ Erst nach mehr als einem Jahr realisiert Anama, dass ihr Zustand Wirklichkeit ist und nicht nur ein schlechter Traum. Langsam lernt sie, wieder einzelne Buchstaben zu sprechen. Bis zum ersten Wort dauert es noch ein weiteres Jahr. „Bis dahin habe ich mich nur über Augenbewegungen verständigt“ sagt sie. Augen schließen für ja, Augen öffnen für nein. Bis heute übt sie jeden Tag mühsam, verlorene Fähigkeiten wenigstens teilweise zurückzuerobern. Anama lebt wieder in einer eigenen Wohnung. Dreizehn Assistenten teilen sich den Dienst so ein, dass sie rund um die Uhr betreut wird. Sie sitzt im Rollstuhl, ihre Stimme ist zart und leise wie ein Flüstern. Sprechen strengt sie an. Aber sie kann es wieder!

„Ich weiß nicht, warum ausgerechnet mir dieses Unglück passiert ist. Ich war vorher nie krank“ sagt sie. „Aber ich denke da nicht drüber nach. Ich sage Ja zum Leben,   in  welcher  Form  auch immer. Ich habe mein Leben an eine höhere Macht abgegeben, die darüber entscheiden mag, wie es weitergehen soll.“ Und es geht weiter, wenn auch in winzigen Schritten. Ihre größten Erfolge? „Ich kann meinen Kater Jonathan streicheln. Und meinen Hund ,Momo‘. Er ist ein ausgebildeter Therapiehund, kann beispielsweise Lichtschalterauf Kommando an- und ausmachen. Ich habe mein neues Leben angenommen!“ Vor allem aber ist „Momo“ für Anama „ein Freund und Seelentherapiehund“. Täglich sind die beiden draußen. „Ich beobachte ihn beim Toben.“ Anama erzählt weiter: „Andere Erfolge? Ich kann einen Apfel essen. Dass es überhaupt wieder Spaß macht zu essen!“ Anama lacht. Auch das kann sie wieder und macht es gern!
„Ich habe inzwischen meine innere Ruhe gefunden. Ich musste lernen, mich von meinem alten Leben zu verabschieden, es ganz aufzugeben und ein völlig neues zu beginnen“ sagt sie. „Nicht jeder hat zwei Leben in einem!“

Bild der Frau 04/2004 TANYA MUNSCHE
www.lockedinsyndrom.mynetcologne.de
www.locked-in-syndrom.org

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