NOT-Artikel (2010)
admin August 2nd, 2010
Der Weg in ein neues Leben
Bis zu ihrem Schlaganfall vor zehn Jahren war die damals 33-jährige Anama Kristin Fronhoff ein sehr kommunikativer Mensch – sowohl verbal wie auch körpersprachlich. Der Hirnstamminfarkt löste bei der jungen Kölnerin ein Locked-in-Syndrom aus. Trotz der starken Behinderung lebt sie heute, dank einer 24-Stunden-Assistenz, allein mit ihren Tieren zu Hause. Wie Anama Fronhoff mit ihren Mitmenschen kommuniziert und wie sie ihren Alltag meistert, schilderte sie bei einer Veranstaltung des Vereins LIS e.V. zum Locked-in-Syndrom in der Neurologischen Rehaklinik RehaNova Köln. Mit dem Locked-in-Syndrom war ihre Kommunikationsfähigkeit von einem Augenblick zum anderen unterbrochen. Plötzlich konnte sie sich nicht mehr verständigen. „Über ein Jahr lang war weder eine Bewegung möglich, noch konnte ich irgendeinen Laut von mir geben. In der Zeit habe ich ausschließlich über Augensprache kommuniziert“, erinnert sich Anama. „Das heißt, der Gegenüber hat das Alphabet buchstabiert und ich habe beim entsprechenden Buchstaben die Augen geöffnet. Nach dem gleichen Muster wurden mir Ja/Nein-Fragen gestellt. Bei Ja habe ich die Augen geöffnet, bei Nein sie geschlossen gehalten.“ Nach der Rehaklinik, in der die junge Kölnerin ein Jahr verbrachte, zog sie – lediglich unterstützt von Assistenten, nicht von Fachpersonal – in ihre eigene Wohnung.
„Im Nachhinein erscheint es mir wie ein Wunder, dass das überhaupt ging, denn ich konnte am Anfang weder sprechen, noch ausreichend Essen oder Trinken oral zu mir nehmen. Stattdessen wurde ich über eine Magensonde ernährt“, wundert sich Anama noch heute. „Nach circa zweieinhalb Jahren konnte die PEG auf meinen Wunsch hin gezogen werden, wobei die Ärzte davon überhaupt nicht angetan waren. Ebenso verhielt es sich mit den Medikamenten. Ich habe langsam alle Medikamente ausgeschlichen, gegen Überzeugung der behandelnden Ärzte.“ „Stattdessen habe ich seit circa zwei Jahren eine sogenannte Kopfmaus und eine Bildschirm-Tastatur. Auf einer Brille ist ein Infrarot-Reflektor-Punkt geklebt, dessen Impulse von der Kopfmaus , die über dem Monitor angebracht ist, aufgenommen werden. Um klicken zu können, muss einen bestimmten Zeitraum (in meinem Fall 0,4 Sekunden) ohne Bewegung auf einen Punkt halten. Schreiben kann ich mit Hilfe einer sogenannten Bildschirm-Tastatur. Ich finde dieses System für mich phantastisch, denn nach mehreren Jahren habe ich endlich die Möglichkeit, allein ohne Mittelsperson kommunizieren zu können. Und dabei ist es auch egal, ob jemand meine leise Stimme verstehen kann oder nicht.“ Mittlerweile hat Anama Fronhoff Übung, aber gerade am Anfang dauerte das Schreiben mit der Kopfmaus sehr viel länger als das Schreiben mit der Hand. So brauchte sie in den ersten Tagen zum Schreiben einer email mit einem Satz fast eine Stunde. „Aber immer noch besser, als ohne Privatsphäre. Erwähnenswert finde ich, dass meine Freunde problemlos dazu übergegangen sind, mir private Dinge ausschließlich per email mitzuteilen“, freut sich Anama. In den ersten Jahren erhielt Frau Fronhoff fünf mal in der Woche Logopädie. Hier lernte sie, wieder zu schucken und Laute zu bilden. „Mittlerweile kann ich alle Buchstaben sprechen, je nach Tagesform leiser oder etwas lauter. Insgesamt reicht die Stimme aber noch nicht für ein Sprachprogramm am Computer. Das will ich aber auch gar nicht haben, da immer ein Assistent in der Wohnung ist und ich somit keine Privatsphäre hätte.“ „Auch verbal hat sich einiges getan. Natürlich habe ich keine laute wohlklingende Gesangsstimme, aber immerhin können mich viele Leute mit gutem Willen verstehen, wenn sie nicht gerade schwerhörig sind. Da ich aber trotzdem noch nicht alleine telefonieren kann, ist immer ein Assistent dabei, der für mich redet. Das Telefon ist in der Regel auf laut gestellt, damit ich zumindest hören kann. Nur bei einzelnen Personen oder an Tagen mit guter Stimme rede ich selbst.“ Alles in allem hat sich viel getan in den vergangenen Jahren. Trotzdem gibt es aber immer wieder Menschen, die denken, weil Frau Fronhoff nicht laut reden kann, könnte sie auch nicht gut hören und erst recht nicht verstehen. „Insgesamt habe ich mich insofern verändert, dass die Kommunikation anders geworden ist. Aber auch, dass ich nicht mehr das Bedürfnis habe, so viel zu erzählen. Das Meiste mache ich mit mir selber ab. Natürlich tausche ich mich gerne aus, aber lange nicht mehr so oft wie früher. Am Anfang war ich durch meine Situation gezwungen, mich mit mir und meinen Gefühlen auseinanderzusetzen. Zu der Zeit empfand ich das wie eine Strafe, aber mittlerweile ist es für mich mehr oder weniger normal geworden“, zieht Anama ihr Resümee. Einige Jahre nach ihrem Hirnstamminfarkt recherchierte die Kölnerin im Internet zur Ausbildung von Behindertenbegleithunden und ist dabei auf den Verein SAM im Bergischen Land gestoßen. Unverbindlich fragte sie per email an, ob auch für ihre massive körperliche Einschränkung Hunde ausgebildet würden. Die Antwort des Vereines kam direkt und man schaute sich ihr Zuhause persönlich an. Ohne ihr Wissen sammelten die Hundetrainer in den folgenden Monaten Spenden für einen Hund. „Derart in Zugzwang geraten, bin ich daraufhin selbst aktiv geworden ud habe unter anderem Flyer erstellt und potenzielle Spender angeschrieben. So sind innerhalb von wenigen Wochen mehrere Tausend Euro zusammengekommen, ein Großteil von den Musikern Deva Premal und Miten“, freut sich Anama über die Hilfe. Die Hundetrainerin Beate Dorlaß bildete 15 Monate den Collirüden Momo als Behindertenbegleithund speziell für Frau Fronhoff aus. Dafür suchte sie ihn nach speziellen Tests aus. Trainerin und Hund kamen jeden Monat für einen Nachmittag zu Besuch, vor allen Dingen, damit Momo seine zukünftige Besitzerin und ihre Lebensumstände kennenlernen konnte. Zu diesem Zeitpunkt war das Ganze noch ein Experiment – Beate Dorlaß war nicht klar, ob Anama mit ihrer schweren Behinderung einen Hund selbstständig führen könne. Im Mai 2006 kam es dann zur dauerhaften Übersiedlung von Momo. „Die darauf folgenden drei Monate waren harte Arbeit. Zum Beispiel habe ich nach dem Sitzkommando des öfteren eine halbe Stunde warten müssen, bis Herr Momo meinte, er könnte mal hören. Konsequenz ist der Garant dafür, dass der Mensch und nicht der Hund Rudelführer ist. Interessant zu erwähnen ist, dass Momo mittlerweile nur noch auf meine leisen Kommandos hört und nicht, wie man glauben könnte, auf die lauten Stimmen von anderen Personen. Für mich ist es immer wieder phantastisch zu sehen, dass man weder lautstark, noch häufiger ein Kommando wiederholen muss, damit ein Hund reagiert. Für mich sind die täglichen Spaziergänge wunderbar. Vorher bin ich manchmal monatelang nicht aus der Wohnung rausgekommen. Am Anfang bin ich im Park sicherlich aufgefallen, mittlerweile fallen wir zwar als Gespann weiterhin auf, aber eher dadurch, dass Momo so gut hört. Dadurch suchen andere Hundehalter häufiger unsere Nähe. Ohne Momo hatte ich lange nicht so viele Außenkontakte, Momo ist sozusagen ein Brückenbauer.“ Die regelmäßigen Spaziergänge haben aber auch andere positive Folgen für Anama Fronhoff. Ihre Immunabwehr hat sich verbessert und ihre Stimme ist durch das „Rufen“ und den Austausch mit Anderen deutlich stärker geworden. „Abschließend möchte ich hervorheben, dass Momo eigentlich mehr für mein Herz zuständig ist, anstatt für das Verrichten von „manuellen“ Tätigkeiten. Momo und ich haben eine ungewöhnlich enge Verbindung zueinander. Da wir fast kontinuierlich zusammen sind, erkennen wir schon nonverbal, was der andere möchte. Somit könnte man sagen, Momo ist mein Lebensgefährte, wenn auch nicht wie üblich in Menschenform. Auf jeden Fall möchte ich ihn nicht missen.“
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Hallo Frau Frohnhoff,
habe gerade wdr 5 gehört, ich bin sehr beeindruckt von Ihnen!
Ich bin auch 43 und habe Frau und 3 Kinder, Wir wohnen in Paderborn.
Weiterhin alles Gute, vor allem Gesundheit
Ganz liebe Grüße
Peter Woitinas