Frau Mit Spaß (2008)

Juni 26th, 2008

„Ich war gefangen im eigenen Körper“


Nur kurz wachte Anama Kristin Fronhoff auf der Intensivstation auf. Und doch spürte sie, dass etwas Schlimmes mit ihr passiert sein musste. „Ich wollte den Kopf drehen. Es ging nicht. Ich versuchte zu sprechen, brachte aber kein Wort heraus.“ Eine Maschine unterstützte sie beim Atmen, über eine Magensonde floss Nahrung in ihren Körper. „Ich lebte. Doch es war wie ein Albtraum, aus dem es kein Entrinnen gab…“ Regungslos lauschte sie den Therapeuten, die sich um ihr Bett versammelt hatten. „Sie hielten bunte Luftballons in ihren Händen und sangen „Happy Birthday“. Es war Februar- und mein 34. Geburtstag…“ Was war geschehen? „Am 11.August 2000 war ich plötzlich zusammengebrochen“, erzählt Anama. „Diagnose: Schlaganfall! „Ich fiel ins Koma. Die Ärzte machten meiner Familie wenig Hoffnung. Doch es kam anders. Ich bin eben ein ziemlich zäher Knochen.“

An die darauf folgenden Monate kann sie sich nur schemenhaft erinnern. „Es gab Momente, in denen ich bereits in einer anderen Welt war. Sie war wunderschön. Auf einmal war alles körperlos, herrlich leicht…“ Dann aber tastete sich Anamas Bewusstsein langsam wieder ins Leben zurück. Nicht ahnend, welch hartem Schicksal sie da entgegen dämmerte… „Ich erfuhr von den Ärzten, dass ich einen massiven Hirnstamminfarkt erlitten hätte und nun am seltenen Locked-in-Syndrom litt.“ Obwohl ihr Verstand hellwach war, sie alles sah und hörte, reagierte keiner ihrer Muskeln mehr auf die Signale ihres Gehirns. „Ich war völlig gelähmt, konnte nichts mehr – weder atmen, noch schlucken und sprechen. Ein Kontakt war nur über die Augen möglich. Ich war gefangen im eigenen Körper.“ Dennoch beschloss Anama, nicht aufzugeben. Seither vergeht kaum ein Tag ohne Ergotherapie, Krankengymnastik und Logopädie. Sie sollen ihr wenigstens Teile ihrer verlorenen Fähigkeiten zurückbringen. „Die Therapien tun mir gut. Doch höhere Mächte entscheiden letztendlich, ob und was sich ändert.“
Und die Fortschritte sind beachtlich. Heute sitzt die 41-jährige Intensivkrankenschwester selbständig im Rollstuhl, kann wieder Kopf, Finger und Oberkörper bewegen, ohne Hilfe atmen, schlucken, leise sprechen, sogar mit einer Art Kopfmaus ihren PC bedienen. Mehr, als die Ärzte je für möglich hielten. „Vor allem aber kann ich wieder meine Katzen „Jonathan“ und „Kassandra“ streicheln“, schmunzelt sie. „Nur ihretwegen bin ich damals nicht ins Pflegeheim gegangen. Denn ich wollte sie nicht weggeben.“ So wohnt sie seit 2001 mit den beiden und dem Behindertenbegleithund „Momo“ in einer eigenen, behindertengerechten Dreizimmerwohnung (65 qm) in Köln. Dort wird sie von Assistenten des Deutschen Roten Kreuzes rund um die Uhr versorgt. Das Ganze wird vom Sozialamt bezahlt. Zudem bezieht sie eine kleine Rente.
Die Kraft, an ihrer Situation nicht zu verzweifeln, findet sie bei Freunden, im Glauben und im Leben selbst. „Früher war ich eine Getriebene. Immer auf der Suche nach etwas Besserem. Jetzt bin ich zur Ruhe gekommen- im Inneren und im Äußeren. Heute freue ich mich schon über eine Blume, die in der Sonne strahlt.“ Keine quälende Frage nach dem „Warum es gerade sie getroffen hat?“ Anama lächelt. „Nein, nie! Ich spüre zwar immer wieder den Schmerz um das Vergangene. Aber ich habe gelernt, meinen Zustand so anzunehmen wie er ist.“ „Das heißt aber nicht, dass immer alles so toll ist“, wirft sie gleich ein. „Die Angst, aus Kostengründen irgendwann in einem Pflegeheim zu landen, ist nach wie vor groß.“ Doch die Verantwortung für ihr Leben hat sie längst „abgegeben“. „Die habe ich in Gottes Hände gelegt. Ich kann nur darüber entscheiden, wie ich den Augenblick leben möchte. Und den will ich genießen- mit viel Liebe und Lachen…“

Was ist das Locked-in-Syndrom?
Das Locked-in-Syndrom („eingesperrt“) tritt oft nach einer schweren Form des Schlaganfalls auf. Ein Blutpfropfen an der Hauptversorgungsader des Gehirns sorgt für eine Mangeldurchblutung. Das führt zur Schädigung wichtiger Hirnregionen, die für die Steuerung der Muskeln und Körperfunktionen zuständig sind. Folge: Die Patienten (weltweit ca. 4000) sind gelähmt, aber bei vollem Bewusstsein. Weitere Infos unter: www.locked-in-syndrom.org oder www.lockedinsyndrom.mynetcologne.de (Homepage von Anama Fronhoff)

Buch-Tipp:
Auch Laetitia Bohn-Derrien litt
am Locked-in-Syndrom. In ihrer
Biografie „Ich spreche“ (Gold-
mann, 19,95 Euro) erzählt sie,
wie sie ins Leben zurückfand.

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