Warum fragt man uns nicht?

Juli 26th, 2007

Warum fragt man ja uns nicht?

Ich werde häufig gefragt, ob ich mein Leben mit dem Locked-in-Syndrom für lebenswert halte oder nicht. Ich weiß nie, was ich antworten könnte, denn für mich stellt sich diese Frage nicht mehr. Ich habe die Verantwortung für mein Leben an eine höhere Macht abgegeben, die darüber entscheiden soll, wie lange und wie ich lebe und wann ich sterben werde. Jeder gesunde Mensch fragt sich ja auch nicht jeden Tag, ob er oder sie sein oder ihr Leben für lebenswert hält. Manchmal stört mich diese Frage sogar, weil sie indirekt beinhaltet, dass ich mein Leben, so wie es ist, hinterfragen müsste, ob das überhaupt in Ordnung ist oder nicht.

Kurz zu meiner Vorgeschichte:

Ich wurde 1967 als zweites Kind von zwei Gastronomen in Höxter an der Weser geboren. Nach dem Abitur begann ich 1986 in der Pflege und machte im Anschluss eine Krankenpflegeausbildung in Köln. Ich arbeitete dann u.a. auf der Schwerstverbranntenintensivstation, wo ich immer wieder mit der Thematik des Sterbens konfrontiert war. Es war eine Auseinandersetzung, die mich nicht nur in meinem Beruf als Krankenschwester, sondern auch in meinem Inneren sehr bewegt hat.

Bei meiner Arbeit damals ging es immer wieder darum, ob man bei einem schwerst verletzten Patienten die Intensivmedizin einsetzen oder ihn sterben lassen sollte. Immer wieder kam die Frage auf, ob so ein Leben noch lebenswert sei.

Und dann stellte sich mir diese Frage auf einmal auf ganz persönliche Weise: am 11. August 2000 erlitt ich einen massiven Hirnstamm-Infarkt und lebe seither mit dem sogenannten Locked-In-Syndrom. Nach meinem Hirnstamminfarkt teilten die Ärzte meinen Angehörigen mit, dass ich diesen Infarkt wohl nicht überleben werde. Daraufhin hofften meine Angehörigen, dass mein Leben weitere drei Tage aufrecht erhalten werden könnte, damit sich alle Freunde von mir verabschieden könnten. Es kam aber anders: ich habe überlebt, wenn auch mit einem Locked-In-Syndrom. Damit hatte niemand gerechnet, – ich bin eben ein ziemlich zäher Knochen.

An das darauffolgende Jahr kann ich mich nur noch schemenhaft erinnern. Ich wurde lange Zeit künstlich beatmet und ruhig gestellt. Während der Zeit auf der Intensivstation gab es Momente, wo es mir sehr schlecht ging. Ich war schon in einer anderen Welt. Dieses Erlebnis hat mich sehr geprägt. Auf einmal war alles körperlos. In völliger Harmonie traf ich Verstorbene wieder. Der Körper spielte keine Rolle mehr, es war das pure Bewusstsein. Diesen Zustand kann ich nicht belegen oder beweisen, aber er ist unendlich wertvoll für mich.

Und dann wachte ich wieder auf und hatte die Bescherung: Locked-In-Syndrom! Das heißt: ich konnte mich nicht mehr bewegen und auch meine Stimmbänder waren vollständig gelähmt. Ein ganzes Jahr verbrachte ich dann in einer Rehaklinik.

Seit September 2001 wohne ich in meiner eigenen Wohnung. Dort werde ich von Assistenten des Deutschen Roten Kreuzes (DRK ) rundum versorgt. Ich bin auf den Rollstuhl angewiesen, meine Armbeweglichkeit ist unwillkürlich. Seit Oktober 2002 kann ich den Kopf wieder alleine halten, brauche keine Kopfstütze mehr. Heute kann ich auch wieder leise sprechen.

So viel zu meiner Vorgeschichte.

Ich habe mir lange die Frage gestellt, ob so ein gelähmtes Leben lebenswert ist oder nicht, körperlich vollkommen abhängig zu sein von der Hilfe anderer. Man kann darüber denken, wie man will. Man sollte im Hinterkopf behalten, dass jedes Baby (also auch jeder Mensch) ernährt werden muss von Anderen, also auch auf die Hilfe Anderer angewiesen ist.

Bis vor einigen Jahren haben mich häufiger Menschen auf der Straße mitleidig angeschaut, merkwürdiger Weise erlebe ich das zum Glück gar nicht mehr. Ich bin auch nicht zu bemitleiden, nur weil ich meine Arme und Beine nicht bewegen kann. Ich urteile nicht über einen Menschen, in wieweit er seine Extremitäten bewegen kann oder nicht. Ich weiß es nicht, ich könnte mir aber vorstellen, dass man nur bemitleidet wird, wenn man selber für sich dieses Thema noch nicht abgeschlossen hat.

Die Frage nach dem lebenswerten Leben habe ich mir ungefähr 2 Jahre gestellt und in dieser Zeit wirklich gelitten. Nicht äußerlich, sondern in meinem Innern. Komischerweise, oder auch nicht komischerweise, bin ich durch diese sehr traurige Zeit innerlich stark geworden – ich wüsste nicht, was mich wirklich umhauen könnte. In mir habe ich eine Gelassenheit, dass das Leben schon weiß, was es mit mir macht.

Und ich habe wunderbare Begleiter auf diesem Weg. Zum einen sind da meine Freunde, die ich beinahe alle schon vor dem Infarkt kannte, zum anderen sind da zwei Mitbewohner, zwei Katzen, die seit Juni 1997 mein Leben teilen. Während des Klinikaufenthaltes waren sie ein Jahr bei einem Freund. Die beiden haben in mir den Wunsch entstehen lassen, nicht in ein Pflegeheim zu gehen und die Katzen in einem Tierheim unterzubringen, sondern eine Wohnung mit Garten zu suchen. Ich hatte mir irgendwann versprochen, dass sie ein schönes Leben haben sollten, so weit wie mir das möglich war. Egal, was das bedeuten würde. Nur deswegen bin ich in die eigene Wohnung gezogen.

Mein Traum nach einem Hund hat sich erfüllt: denn in der Kindheit bin ich mit Hunden aufgewachsen: Im Dezember 2004 ist Momo, ein Langhaarcollie, geboren worden und als Behindertenbegleithund erzogen worden, 1 ½ Jahre. Die Finanzierung dieses Hundes, 8.000€, ist über Spenden erfolgt. An dieser Stelle ein herzliches Dankeschön an alle Spender! Damit ist ein scheinbar irrealer Traum wahr geworden. Da meine Stimme so leise ist, reagiert er auch auf Augenkommandos.

Auch aus dem Grund meiner leisen Stimme führe ich die meiste Kommunikation über meinen Computer. Ich liebe dieses Gerät :-) Erstaunlicherweise kann ich über den Computer die Energie des Anderen wahrnehmen, ohne ihn jemals gesehen zu haben. Leider müssen die Assistenten das tippen, was ich mit meiner leisen Stimme diktiere, da meine Arme gelähmt sind und ich die Tastatur nicht selber bedienen kann. Für ein Spracherkennungsprogramm ist meine Stimme noch zu leise. Und ich habe auch nicht das nötige Equipment, um per Infrarot und Kopfmaus eine Bildschirmtastatur bedienen zu können. Meine Krankenkasse weigert sich noch, die Software zu finanzieren. Deswegen ist im Moment ein Prozess am Kölner Sozialgericht anhängig.

Glücklicherweise bezahlt die Krankenkasse mittlerweile anstandslos jede Woche 10 Therapieeinheiten, Ergotherapie, Logopädie und Krankengymnastik. Diese Therapien sehe ich wie einen Job an, natürlich habe ich nicht jeden Tag Lust dazu, aber ich weiß auch, wie gut es meinem Körper tut. Von daher fordert das natürlich eine Menge Ausdauer und Disziplin. Das ist keinesfalls zu verwechseln mit Kampf. Ich kämpfe nicht! Viele meinen, ich wäre eine Kämpfernatur. Das stimmt aber nicht, ich kämpfe nicht für oder gegen irgendwas.

Ich finde es noch wichtig zu erwähnen, dass ich das Gefühl habe, ich würde zwei Leben in einem führen. Mein erstes Leben wurde am 11. August 2000 beendet, das 2. Leben hat genau am 11. August 2000 begonnen. Meiner Meinung nach darf man die beiden Lebensphasen nicht miteinander vergleichen, denn natürlich spielt der Körper nicht so mit wie früher. Und die mentale Ebene ist ja nicht wirklich zu messen. Ich habe gelernt, mich nicht für meine körperliche Behinderung zu schämen und sie vielleicht sogar zu verstecken. Meiner Meinung nach braucht man sich generell nicht für seinen Körper zu schämen, ob er nun klein, groß, dick, dünn, beweglich, unbeweglich oder sonst was ist.

Abschließend möchte ich noch auf die Frage eingehen „Warum fragt man uns nicht?“.

Ich weiß nicht wirklich sicher, was damit gemeint ist, vermute aber, es geht um die Frage, ob man so ein Leben therapieren soll oder nicht.

Dazu kann ich keine ultimative Antwort geben. Ich selber habe überlebt, und das ist weder gut noch schlecht, es ist einfach so gekommen.

Ich bin nur der festen Überzeugung, wenn man schon sämtliche intensivmedizinischen Maßnahmen einsetzt, um das Leben zu sichern, sollte man auch danach in dieser Richtung bleiben. Nach dem Motto: wer A sagt, muss auch B sagen. Sehr störend finde ich den enervierenden Kampf mit den Krankenkassen, bei denen man das Gefühl bekommt, man wäre zu teuer, weil einem die meisten Hilfsmittel abgelehnt werden und man immer in Widerspruch gehen muss. (10.02.2006)

Zusatz im Mai 2008:

In der Zwischenzeit hat sich einiges verändert, was ich hier kurz aufführen möchte.

Meine Stimme ist in den letzten zwei Jahren deutlich lauter geworden, sodass mich die meisten anderen Menschen verstehen können. Wenn auch mit einem genauen Hinhören. Von daher setze ich bei Momo seitdem keine Augenkommandos mehr ein, sondern probiere, ausschließlich mit verbalen Kommandos den Hund zu leiten und zu führen. Die Bindung zu ihm hat sich immer mehr verfestigt. Mittlerweile hört er nur noch auf mich, nicht mehr auf verbale Äußerungen von anderen. Ich finde das super!

Den Prozess vor dem Kölner Sozialgericht wegen der Finanzierung einer Kopfmaus und einer Bildschirmtastatur habe ich vor ungefähr einem Jahr gewonnen. Seitdem schreibe ich alle Emails alleine ohne Assistenten. Das eröffnet mir eine ganz neue Freiheit!

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